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Katharina Dutz: Reparatur als soziale Praxis der Resilienz und Integration

In: Konsumkritische Projekte und Praktiken, Interdisziplinäre Perspektiven auf gemeinschaftlichen Konsum
Herausgeberinnen: Sigrid Kannengießer und Ines Weller
Verlag: oekom verlag

 

Reparatur als soziale Praxis der Resilienz und Integration

Laut dem Bericht des Uno-Flüchtlingswerks sind derzeit 65 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Armut, Umweltzerstörung und Wassermangel (vgl. UNHCR 2016). Diese Eskalation unterstreicht die Unfähigkeit moderner Gesellschaften, Strategien für eine globale Gerechtigkeit zu entwickeln, die allen Menschen ein Mindestmaß an Würde und Sicherheit ermöglicht und sie in die Lage versetzt, in ihrer Heimat ihre Zukunft zu sehen.

Asylsuchende, die auf der Flucht vor Hunger und Vertreibung nach Deutschland gelangt sind, streben nicht nur nach Schutz und basaler materieller Ausstattung, sondern ebenso danach, ihr Grundbedürfnis nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit (Deci/ Ryan 2002, Krapp/Ryan 2002) zu befriedigen. Autonomie heißt in ihrem Fall, sich als Ursache ihres Handelns sowie weitgehend unabhängig von staatlicher Hilfe zu erleben. Dieses Streben geht einher mit der Wahrnehmung von Kompetenz, die entsteht, wenn sich Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Lösung aktueller Probleme als wertvoll und nützlich erweisen. Für Geflüchtete ist es sehr schwierig, diese Bedürfnisse aus eigener Kraft zu befriedigen. Ohne ausreichende Kenntnis der Sprache sowie der Eigenheiten der Kultur des Ziellandes, ohne sozialen Anschluss und beraubt der Möglichkeit, selber den Lebensunterhalt zu bestreiten, kann von einem Gefühl sozialer Eingebundenheit genauso wenig die Rede sein, wie von der Möglichkeit einer autonomen Gestaltung ihrer Zukunft. Denn das Gefühl sozialer Eingebundenheit umfasst nicht nur, von anderen Menschen und bedeutsamen Gruppen wahrgenommen und akzeptiert zu werden, sondern auch, für andere Menschen sorgen zu können und von anderen umsorgt zu werden.

 

Selbstbestimmung als Grundlage gelingender Integration

Wenn in Anbetracht der physischen und psychischen Notlagen von Geflüchteten nach Wegen gesucht wird, diesen heimatlosen Menschen ein Gefühl der Wertschätzung zu vermitteln, sollte in Erinnerung gerufen werden, dass letztlich auch die abgesicherten Bewohner nördlicher Konsumgesellschaften einen zunehmenden Verlust an Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit erleiden – allerdings nicht, weil es an materiellen Ausstattungen fehlt, sondern infolge eines „Zuviel von allem“. Die Überflutung mit Konsumoptionen und Ereignissen droht latent, all das zu entwerten oder auszublenden, was nicht der Selbstoptimierung oder einem Maximum an vermeintlichem Genuss dient. Ständig in Sorge, den fortlaufend anspruchsvolleren Wohlstandsdiktaten nicht zu genügen, verlieren sich immer mehr Menschen in einem Strudel von Wünschen, Verlockungen und Möglichkeiten. Digitale und sonstige Kommunikationskanäle vermitteln beständig neue „must haves“, die zeitaufwändig zur Kenntnis genommen und über die entschieden werden muss. Schließlich führt sogar die Notwendigkeit der Entscheidung, etwas nicht in Anspruch zu nehmen, zu Stress.

Weil das Leben in der westlichen Welt mit derart vielen Informationen, Angeboten, Nachrichten, Produkten, Dienstleistungen, Mobilität und Ereignissen verdichtet ist, wird es auch zunehmend schwierig, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Für eine kritische Reflexion der Ursachen, Bedingungen und Folgen von Ereignissen und Veränderungen müssen jedoch nicht nur Zeit und Aufmerksamkeit investiert werden, sondern auch die Bereitschaft zur Überprüfung eigener, lieb gewordener Überzeugungen vorhanden sein, denn die Entwicklung eines moralischen Urteilsvermögens sowie entsprechender Normen und Werte lassen sich nicht delegieren. Diese Fähigkeit des Menschen, durch Lernprozesse eine relativ stabile Veränderung des Denkens, Fühlens und Verhaltens durch Einsicht und Erfahrung herbeizuführen, ist die Voraussetzung für ein reflektiertes Verhältnis zu sich und zu der Welt. Dies wird allgemein unter dem Begriff der Bildung verstanden, wobei dieser sich nicht auf einen Kanon kulturell bedeutsamen Wissens und auf die Vermittlung formaler Fähigkeiten beschränkt. Vielmehr zielt er auf die Erschließung neuer Wahrnehmungskategorien und Handlungsmöglichkeiten, um vermeintliche Normalität und Normativität kritisch zu hinterfragen (vgl. Fischer 2014).

Während die Menschen im Konsumwohlstand sich mühsam durch ein Dickicht konkurrierender Lebensentwürfe schlagen und kognitive Dissonanzen aller Art abwehren müssen, um eine halbwegs konsistente Ich-Identität in Hinblick auf die Folgen ihres Handelns aufrecht erhalten zu können, bleibt den Geflüchteten keine andere Wahl, als sich mit der Frage zu befassen, wie sie ihre kulturelle Identität mit den Normen und Werten westlicher Konsumgesellschaften vermitteln können.

Die Lage der Menschen, die alles verloren haben, und derjenigen, die am Überfluss kranken, könnte also unterschiedlicher nicht sein. Deshalb wären soziale Praktiken und Bildungsangebote von Interesse, die aus diesen diametral unterschiedlichen Blickrichtungen als attraktiv wahrgenommen werden könnten, weil sie Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und Resilienz sowohl für die Unter- als auch die Überversorgten ermöglichen. Eine Handlungs- und zugleich Verständigungsebene, der sich die einen durch Integration und verbesserte Teilhabe und die anderen durch eine Befreiung vom Überfluss nähern können, läge in der Etablierung und Nutzung subsistenter Praktiken (Paech 2012). Hier können Lernprozesse in Gang gesetzt werden, die Antworten auf globale Disparitäten geben und zugleich Momente der Selbstbestimmung ermöglichen.

 

Selbstwirksamkeit  und Resilienz durch Reparaturpraktiken

Die Logik der Konsumgesellschaft verlangt danach, dass alles bequem und vorgefertigt ohne eigene Leistung abgerufen werden kann, um möglichst viele Dinge in ein Menschenleben integrieren zu können. Aber damit bleibt kein Raum für eigene Gestaltung oder das Erfolgserlebnis, ein Objekt eigenhändig erschlossen zu haben. Während die Reparatur seit Menschengedenken und bis vor wenigen Jahrzehnten noch ein bildungsrelevanter Bereich und die Sorge für eine maximale Nutzungsdauer selbstverständlich waren, sind sie heute weder im Bewusstsein von Kindern und Jugendlichen und selten in dem von Erwachsen präsent. Dies gilt auch für Fähigkeiten und Fertigkeiten, die über eine bloße Kenntnis der Bedienung von Produkten hinausgehen. Um im Falle der Reparaturbedürftigkeit die Konstruktionsweise des Gerätes hinreichend zu durchdringen und die Funktion wiederherstellen zu können, sind technisches Wissen, manuelles Geschick, Erfahrung und Konzentration vonnöten. Dass sich durch die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt neu darstellt, hat schon Goethe festgestellt: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“ (Goethe 1808).

Repair Cafés sind Orte, an denen eingeübt werden kann, wie man sich dem Schicksal eines „belieferungsbedürftigen Mängelwesens“ (Illich 1973) zumindest teilweise entziehen kann, indem aus Herrschaftswissen Gemeinschaftskönnen generiert wird. Erfahrungswissen spielt hier eine besondere Rolle, denn als hochentwickelte Form des Handlungswissens integriert diese Form des Wissens sowohl explizite und implizite Aspekte. Es entsteht aus der praktischen Tätigkeit selbst, aber auch aus der Reflexion über Erfolge und Fehler, die aus dem Prozess einer Handlung erwachsen. Es setzt sich zusammen aus Sinneseindrücken und Erfahrungen, aber auch aus emotionalen und/oder rationalen Bewertungen, die sich aus moralischen und ethischen Implikationen speisen. Unsere subjektive Wahrnehmung, unser Wissen, aber ebenso unsere manuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten prägen unser Fähigkeitsselbstkonzept und damit unsere Überzeugung, unser Wissen und unsere Kenntnisse sinnstiftend anwenden zu können. Evolutionär betrachtet ist die Erfahrung der Schlüssel zur Erkenntnis. Sennett (2014) vertritt die Auffassung, dass selbst die abstraktesten Fertigkeiten mit körperlicher Praxis beginnen. Handwerkliches Geschick und die Fähigkeit, technischen Problemen auf den Grund zu gehen, können jedoch nicht vereinfacht oder rationalisiert werden. Sie zu erwerben, erfordert Zeit und Geduld. Das Fertigen oder das Reparieren eines Gegenstands, und damit verbunden das Durchdringen des Problems, entspricht dem Gefühl, „etwas erfasst zu haben“. Das geistige Erfassen eines Problems sowie dessen Reflexion über die dahinterliegende Bedeutung lassen sich jedoch nur durch beharrliches Üben erreichen (vgl. Sennet 2014). Jeder Versuch, diesen Prozess der Aneignung abzukürzen, indem alle Fehlerquellen und nicht zielführenden Verfahren im Vorfeld ausgeschlossen werden, eliminiert zugleich auch die Möglichkeit von Rückmeldung aus Handlungen, die sich als nicht zielführend herausstellen. In derartigen Vorgängen liegt das Potenzial der Gewinnung von Autonomie durch eine Eigenleistung. Um dieses Ziel zu erreichen, muss Sennett zufolge „der Arbeitsprozess dem ordnungsliebenden Geist etwas Unangenehmes antun – er muss ihm zumuten, sich zeitweilig auf chaotische Zustände einzulassen: auf falsche Wege, verpatzte Anfänge und Sackgassen. Aber in Wirklichkeit ist dieses Durcheinander […] weit mehr als bloßes Chaos“ (Sennett 2014, S. 216). Aus sozialen Praktiken, die sich aus Such- und Annährungsprozessen speisen, können neue Handlungsroutinen erwachsen. Denn das Bedürfnis nach Kompetenz ist nicht nur mit dem Erreichen bestimmter Fertigkeiten und Fähigkeiten verknüpft, sondern auch mit Gefühlen des Selbstvertrauens und der Selbstwirksamkeit (vgl. Krapp und Ryan 2002).

 

Die Wiederbelebung der Reparatur – eine postwachstumstaugliche Form der Integration

In Repair Cafés kann eine genügsame und damit postwachstumstaugliche Variante authentischen Austauschs gelebt werden, in denen Formen der Selbstvergewisserung über die Nutzungsdauerverlängerung von Artefakten erprobt werden. Die hier vermittelte Unterstützung zur Selbsthilfe sowie der Erfahrungsaustausch befördern mehr als das Einüben von Reparaturkompetenzen. Menschen anderer Kulturen bietet sich hier die Möglichkeit, handwerkliche Kompetenzen einzubringen und weiterzugeben, die in Deutschland längst verlernt wurden. Damit werden Repair Cafés zu Orten, an denen Geflüchtete ihre Fähigkeiten und Kenntnisse einbringen können. Deren künstlerischen und handwerklichen Fähigkeiten reichen von kreativer Wiederverwertung ausrangierter Materialien und selbst gefertigter Objekte bis hin zur semi-professionellen Marke „Eigenbau“. Talente unterschiedlicher Natur können hier zur Geltung kommen, weil ein möglichst großes Spektrum an Zugängen zur Lösung von Problemen als notwendig anerkannt werden kann. So wird vormals bemitleidete „Rückständigkeit“ in einen Beitrag zum Gelingen wachstumskritischer Nachhaltigkeitspraxis umgewertet. Dies enthebt die Geflüchteten zumindest partiell des Status‘ von Bittstellern und trägt zu einem Dasein in Würde bei.

Die Verständigung anhand der zu lösenden Reparaturaufgabe, denen sich Menschen verschiedener kultureller Hintergründe in Repair Cafés widmen, mindert Sprachbarrieren oder löst sie gar im Sinne einer „Doing Culture auf. Selbst wer kein einziges Wort der Sprache seines Gegenübers versteht, kann sich durch das Hantieren oder materielle Arbeiten mit bzw. an einem Gegenstand verständlich artikulieren. Der Gebrauch von Werkzeugen und die sachgerechte Anwendung lassen sich durch Demonstration und Übung vorführen und erlernen. Dies erspart nicht, Menschen einzubinden, die der Sprache der Geflüchteten mächtig sind, um sie darin zu unterstützen, erste Hürden der Kontaktaufnahme zu überwinden. Schließlich sollen Gemeinschaften hergestellt werden. Die Freude über einen gemeinsam erreichten Reparaturerfolg und eine damit – wenngleich zunächst nur punktuelle – hergestellte soziale Einbindung konstituiert einen Kontrapunkt zu jener dominanten Kultur, die durch Konkurrenz und marktfähige Leistungen geprägt ist. Der einladende Charakter von Repair Cafés bietet die Chance, Flüchtlinge eine solidarische und wertschätzende Dimension der europäischen Kultur erleben zu lassen. Ein interkultureller Austausch rund um die Reparatur kann Menschen mit europäischem Hintergrund überdies in die Lage versetzen, Konsum- und Bewertungsmaßstäbe neu zu justieren.

Insbesondere in gemeinschaftlich ausgerichteten Prozessen ist dieses Moment wesentlich. Das Empfinden, in einer sozialen Gruppe wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden, befördert die Motivation und das Streben, einen eigenen Beitrag beizusteuern. Das Erleben sozialer Eingebundenheit bildet eine Klammer für den Transfer von Erfahrungen, die eine Gemeinschaft in die Lage versetzt, aus Erfahrungen neue Erkenntnisse zu generieren.

Das Erleben von Autonomie und Kompetenz in einer sozialen Gemeinschaft ist überdies die beste Voraussetzung für die Bereitschaft, Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen und diese Praktiken in die Gesellschaft zu tragen.

 

Repair Cafés in Oldenburg – kultur- und generationenübergreifende Lernorte  

Mit Gründung des ersten Repair Cafés (repaircafeoldenburg.org) in Oldenburg durch Niko Paech, Katharina Dutz und Maja Bergmann im Jahr 2013, das zunächst in der stadtbekannten Szenekneipe „Polyester“ einen Ort gefunden hatte, wurden Geflüchtete eingeladen, ihre Fertigkeiten einzubringen. Diese Einladungen wurden zögerlich angenommen, konnten sich jedoch nicht verstetigen. Mit dem Umzug in Proberäume des Staatstheaters Oldenburg verhandelten Schauspieler und Reparateure über zwei Spielzeiten hinweg das Verhältnis von darstellender Kunst und Postwachstumsökonomie unter dem Motto „Gemeinsam weniger erreichen“( https://www.youtube.com/watch?v=8tPPHaGk1PY ). Mit dem Umzug in die „Werkschule“, die ihren Schwerpunkt auf bildende Kunst und Kultur legt, sollen nun Gemeinsamkeiten zwischen bildender Kunst und Reparaturkultur ausgelotet sowie ein erneuter Anlauf zur Integration von geflüchteten Menschen unternommen werden. Da die Werkschule ihrerseits Projekte initiiert, die zu länderübergreifendem kulturellen Austausch einladen, bieten sich hier neue Möglichkeiten. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben allerdings gezeigt, dass die Offenheit eines Repair Cafés alleine nicht ausreicht, um einen kontinuierlichen und regen Austausch zu realisieren. Vielmehr zeigt sich, dass sprachliche und kulturelle Barrieren dem aktiven und selbstverständlichen Austausch offensichtlich Grenzen setzen. Deshalb wird nun gemeinsam mit der Stadt angestrebt, ein weiteres Repair Café in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Flüchtlingsunterkunft einzurichten mit dem Ziel, zunächst ein niederschwelliges Angebot zu machen, um in einem quasi geschützten Rahmen eine Vertrauens- und Austauschbasis zu schaffen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass insbesondere die Reparatur von Fahrrädern, die in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften angeboten wurde, dankbar angenommen wird und daher geeignet ist, um Brücken der Kommunikation zu bauen.

Parallel zu diesen Bemühungen gründete sich ein zweites Repair Café in der Stadt. Schülerinnen und Schüler der Integrierten Gesamtschule Oldenburg/Kreyenbrück (igs-kreyenbrueck.de/reparieren-statt-wegwerfen-jetzt-auch-kreyenbrueck) organisieren seit 2016 in den Räumen der Kirchengemeinde Osternburg im Rahmen des Faches „Lernen durch Engagement“ ein Repair Café und wurden damit im Frühjahr 2017 Gewinner des bundesweiten „Service-Learning-Wettbewerb“ (Stiftung Aktive Bürgerschaft 2017) m Rahmen dieses Faches engagieren sich die Lernenden eigenständig in einem sozialen Projekt. Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 7 und 8 gründeten ein Repair Café mit Unterstützung ihres Lehrers sowie der Technischen Bildung der Universität Oldenburg. Dieses Repair Café stellt einen diffusionsoffenen Raum zwischen formaler Bildung, ehrenamtlichem Engagement und Gemeinwesen dar. Die Schülerinnen und Schüler wurden in der Fahrradreparaturwerkstatt der Schule zunächst fachlich auf ihren Einsatz im Repair Café vorbereitet und richteten im Anschluss unter Mitwirkung von Ehrenamtlichen den neuen Standort ein. Einmal im Monat reparieren sie dort Fahrräder, versorgen die Gäste mit Kaffee und Kuchen, nehmen Aufträge an und leiten diese an die Reparateure weiter. Syrische Schüler der Sprachlernklasse nähen selber und erlernen die Reparatur ihrer Fahrräder. Unbegleitete geflüchtete Jugendliche einer nahegelegenen Unterkunft brachten ihre Fahrräder zur Instandsetzung und halfen bei der Reparatur ihrer Räder. Lehramtsstudierende des Faches Technik unterstützen das Repair Café, indem sie Upcycling-Projekte im Rahmen eines Seminars entwickelten und diese anschließend im Repair Café anboten. So hatten die Gäste beispielsweise Gelegenheit zu lernen, wie ein Computer gereinigt wird oder wie aus normalen Taschenlampen LED-Lampen werden (https://www.youtube.com/watch?v=jllYOJAVWZo ).

Mit diesem Projekt werden Möglichkeiten ausgelotet, die Trennung zwischen Symbolwelten und „erster Wirklichkeit“ (Gudjons 2008) aufzuheben. Konkrete und authentische Erfahrungen, die sich aus der Auseinandersetzung mit dem zu reparierenden Gegenstand ergeben, die tätige Aneignung von Reparaturwissen sowie der Dialog mit Besuchern und Besucherinnen des Repair Cafés ließen einen Prozess entstehen, in dem das Denken aus dem Handeln hervorgeht und ordnend auf dieses zurückwirkt (Gudjons 1998). Dieser Ansatz beschränkt sich nicht auf Nachhaltigkeitspraktiken wie die Reparatur, sondern umfasst auch das Engagement zur Integration von Geflüchteten, denn die Jugendlichen schaffen mit diesem Repair Café in ihrem Quartier einen Ort, an dem Geflüchtete sich in die Gemeinschaft einfinden können. Wenn die Schüler beispielsweise dabei helfen, Geflüchteten zu vermitteln, wie einfache Reparaturen selber ausgeführt werden können, verbindet sich die Erlangung von Selbstwirksamkeit mit dem Erwerb von Erfahrungswissen für beide Seiten. Während das in der Schule erworbene Wissen nur noch selten Wirksamkeitserfahrungen auslöst, trägt das praktische Lernen im Repair Café zu einer Rückbesinnung auf resiliente Praktiken bei. Denn die aus der gemeinsamen Reparatur sowie aus der damit verbundenen sozialen Interaktion entstehende Bildung folgt nicht einer vorgegebenen Handlungsanleitung, sondern aus dem zu lösenden Problem. Diskurs und Übung, für die Zeit, Geduld und Konzentration benötigt werden, erhalten in diesen Lernräumen den ihnen gebührenden Platz. Erfahrungswissen, das im schulischen Kontext in der Regel keine besondere Beachtung erfährt, wird hier akzentuiert. Während sich die westliche Bildungsauffassung hauptsächlich auf formales, systematisches und explizierbares Wissen bezieht, das sich in Worten, Zahlen oder Formeln ausdrücken lässt, kommt in Prozessen, die komplexe Themen berühren, dem impliziten Wissen eine enorme Bedeutung zu. Dieses Wissen ist nur bedingt mitteilbar und gründet sich in der Tätigkeit, der Intuition, der Erfahrung und in den emotional gewussten Werten und Normen, denn Menschen wissen mehr als sie sagen oder beschreiben können (Polyani 1985). Dies gilt sowohl für diejenigen, die in unserer Kultur zuhause sind als auch für diejenigen, die es werden wollen.

Das Repair Café in Kreyenbrück ist mittlerweile zu einem Ort konkreter Hilfe und Verständigung geworden. Dieser Stadtteil ist bunt, heterogen und interessant, aber zugleich auch ein sozialer Brennpunkt. Dass das Repair Café sukzessive zu einem Treffpunkt des Stadtteils geworden ist, macht deutlich, dass die Rückbesinnung auf die Reparaturkultur Menschen unterschiedlicher Kulturen und Sprachräume sowie verschiedener Generationen verbinden kann.

Um die unterschiedlich ausgerichteten Repair Cafés in Oldenburg zu verstetigen und weitere zu gründen, wurden Projektmittel der nationalen Klimaschutzinitiative „Kurze Wege für den Klimaschutz“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) beantragt. Die Mittel sollen genutzt werden, um die Repair Cafés organisatorisch zu unterstützen, inhaltlich auf die jeweiligen Schwerpunkte auszurichten und miteinander zu verknüpfen mit dem Ziel, sie in den Quartieren zu verankern und zu einem selbstverständlichen Teil des städtischen Lebens zu machen, denn die Notwendigkeit einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Lebensweise macht es unabdingbar, achtsam und kreativ mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen. Repair Cafés sind ein Teil dieses Plans.

 

Literatur

Deci, E. L.; Ryan, R. M. (2002): Handbook of Self-Determination Research, University of Rochester Press.

Fischer, D. (2013): Bildung im Zeichen der globalen Konsumherausforderung:

Grundlagen schulischer Bildungskonzepte zur Förderung nachhaltigen Konsums, in

Michelsen, G.; Fischer D. (Hrsg.) Nachhaltig konsumieren lernen: Ergebnisse aus dem Projekt BINK „Bildungsinstitutionen und nachhaltiger Konsum“, VAS Verlag für Akademische Schriften, Bad Homburg, S. 25-70.

Goethe, J. W. (1808): Faust. Der Tragödie erster Teil, J. G. Cotta, S. 50.

Gudjons, H. (1998): Didaktik zum Anfassen: Lehrer/in-Persönlichkeit und lebendiger Unterricht, 2. Aufl., Klinkhardt.

Gudjons, H. (2008): Handlungsorientiert lehren und lernen, 7. Aufl., Klinkhardt.

Illich, I. (1973/2011): Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik, München.

Krapp, A.; Ryan, R. (2002): Selbstwirksamkeit und Lernmotivation, in: Jerusalem, M.; Hopf, D. (Hrsg.) (2002): Zeitschrift für Pädagogik. Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen, (44), S. 54-82.

Paech, N. (2008): Regionalwährungen als Bausteine einer Postwachstumsökonomie, in: Zeitschrift für Sozialökonomie 45/158-159, S. 10-19.

Paech, N. (2012): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, München.

Polanyi, M. (1985): Implizites Wissen, Suhrkamp Verlag.

Sennet, R. (2014): Handwerk, 5. Aufl., Berlin Verlag.

Stiftung Aktive Bürgerschaft: http://www.aktive-buergerschaft.de/aktive_buergerschaft